Die Straße, in der ich mich befinde, ist eine kleine, ruhige Gasse, mitten in der Düsseldorfer Innenstadt. Die hohen Fassaden der Mehrfamilienhäuser machen einen leicht bedrückenden Eindruck. Es ist dunkel und dreckig, wie auf den meisten Straßen dieser Art. Vielleicht war es gerade deshalb so einfach, das von mir gesuchte Gebäude zu finden. In einer Garageneinfahrt leuchten in einem warmen Gelb einige einladende Lampen. Ein Schild am Eingang zeigt mir, dass ich hier richtig bin: KiD steht darauf, Kind in Düsseldorf. Stationäre Facheinrichtung. Hilfe für gewaltgeschädigte Kinder.
Ich schlüpfe durch das schwarze Eisentor, laufe langsam die Abfahrt hinunter und lande in einer Oase. Der Boden der Terrasse, auf der ich stehe, besteht aus Holz. Alles ist sauber, warme Farben bestimmen das Bild.
Doch wo sind die Kinder? Sollten hier nicht Kinder wohnen? Vorsichtig klingle ich. Alles ist ruhig. Nicht einmal der Lärm der Autos ist zu hören. Nichts passiert. Nach einiger Zeit erscheint ein Mann hinter einer Glastür. Zu meiner Überraschung muss er diese erst aufschließen. Was ich will? Ich bin mit Claus Gollmann, dem Leiter des KiD, zum Interview verabredet. Der freundliche Herr zeigt mir eine weitere Tür, die ich übersehen hatte. Dort klingle ich erneut. Schnell muss ich feststellen, dass alle Türen dieses Gebäudes abgeschlossen sind.
Mir wird geöffnet, doch ich werde gebeten, noch einige Minuten Platz zu nehmen. Hier ist alles weißer, steriler. Daher fällt mein Blick schnell auf eine offen stehende Tür. Dahinter scheint sich etwas Ähnliches wie ein Bastelraum zu befinden. Viele bunte Farbkleckse stören das Bild der weißen Wände im Flur. Einer der Therapieräume, wie ich später erfahre.
Verhaltensauffällige Kinder zwischen vier und zwölf Jahren werden hier aufgenommen, meist auf Empfehlung des Jugendamtes oder eines Familiengerichts. Oft wenden sich aber auch Hilfe suchende Eltern direkt an das KiD. Keines der Kinder ist ohne Grund hier, alle sind verhaltensauffällig. Die Aufgabe des KiD ist klar definiert: herauszufinden, warum. Diagnostik nennt sich das dann in der Fachsprache.
Die Jungen und Mädchen wohnen im KiD, gehen von dort aus zur Schule oder zum Kindergarten, essen und schlafen auch hier. Es gibt geregelte Tagesabläufe und feste Rituale. Die Erzieher sind alle ausgebildete oder studierte Pädagogen. Das ist auch nötig, denn oft geben die jungen Patienten das Erlebte an andere Kinder weiter.
Heike Weimann, die bereits seit vielen Jahren als Erzieherin im KiD tätig ist, erzählt mir, warum sie die Arbeit hier so mag: “Ich mochte Kinder immer schon. Außerdem ist es immer wieder interessant, welche faszinierenden Methoden die Kinder entwickeln, um mit ihrem Schicksal fertig zu werden. Oft scheinen die Kleinen auch eine Art feiner Antennen zu haben, die ihre Umgebung besonders im emotionalen Bereich sehr gut erfassen. Es kommt nicht selten vor, dass ein Kind schnell merkt, wenn man gerade traurig ist oder Probleme hat”.
Mit Spaß bei der Arbeit
Auch Claus Gollmann, den Gründer und Leiter des KiD, fasziniert seine Arbeit. Früher arbeitete er 13 Jahre lang ambulant. Das bedeutet, dass ein Kind in eine Klinik kam, für einige Stunden dort blieb, um dann wieder nach Hause zu fahren. Dann gründete er das KiD, um diesen betroffenen Kindern noch besser helfen zu können. “Es ist wichtig, so ironisch das klingen mag, Spaß an seiner Arbeit zu haben. Spaß daran zu haben, zu helfen”, erzählt er mir.
Sehr interessant ist das Verhältnis von Jungen zu Mädchen. Dieses ist, entgegen der allgemeinen Annahme, ausgeglichen. Allerdings unterscheiden sich die Ursachen der Verhaltensstörungen.
Das KiD finanziert sich zum einen durch die Stadt. Diese bezahlt für jedes Kind einen festgelegten Tagessatz.
Allerdings reicht dieser Tagessatz gerade einmal für die Befriedigung der Grundbedürfnisse des Kindes aus. Doch oft gehen Spielzeuge und Therapiegeräte kaputt oder es wird etwas Neues benötigt. Außerdem müssen die Therapien finanziert werden.
“Wenn wir Spenden von größeren Firmen erhalten, sind diese Geldspenden oft an einen bestimmten Zweck gebunden. Die Menschen denken immer, dass zum Beispiel eine neue Schaukel ein tolles Bild in der Presse abgibt. Doch das Geld fehlt an ganz anderen Stellen”, erzählt mir der KiD-Leiter Gollmann.
Die Menschen denken immer, dass zum Beispiel eine neue Schaukel ein tolles Bild in der Presse abgibt. Doch das Geld fehlt an ganz anderen Stellen
Claus Gollmer, Leiter des KiD
Leider hatte ich bei der kurzen Führung kaum die Möglichkeit, einen wirklichen Eindruck der Einrichtung zu erhalten. Daher bot Herr Gollmann mir an, einen Tag lang das KiD selbst mitzuerleben. Und so stehe ich an einem Samstagmorgen um zehn Uhr wieder auf der kleinen, ruhigen Terrasse. Schnell wird mir geöffnet. Ich darf meine mitgebrachten Dinge in das Erzieherzimmer legen und dann kann es auch schon losgehen.
Die erste ungewohnte Neuerung: Für die Kinder bin ich nicht Kai, sondern Herr Inboden. Kein KiD-Kind nennt einen Betreuer beim Vornamen. Ein Mädchen soll mich herumführen. Es zeigt mir die gesamte Einrichtung, hüpft herum, singt und lacht. Es ist das Mädchen, das mich vor ein paar Tagen noch so ängstlich angesehen hatte. Heute wirkt sie viel fröhlicher.